Der Glaube, der Berge versetzen kann

Beitrag von Irmgard Lindner, Januar 2025

Während der Künstlertage in Naone war die Entwicklung des Herzzentrums ein zentrales Thema. In diesem Zusammenhang wies Heinz Grill auf die Bedeutung des Glaubens hin, der – wenn er richtig verstanden wird – eine Basis zur Entwicklung des Herzzentrums und damit zur Neugründung der Persönlichkeit ist. Mit viel Interesse wurde daraufhin in mehreren Arbeitseinheiten der Begriff „Glaube“ unterscheidend bewegt und erweitert erfasst. Sehr interessant fand ich, dass der Begriff Glaube in der Gesellschaft mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen kommuniziert wird und daher auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann.

Etymologische Herkunft

„Das Wort glauben kommt von mittelhochdeutsch gelouben, althochdeutsch gilouben ‚für lieb halten‘, ‚gutheißen‘ und geht mit den verwandten Wörtern Lob und lieb u. a. auf die indogermanische Wurzel *leubh zurück. Der gleichen etymologischen Wortfamilie gehören aus anderen Sprachen auch englisch be-lieve ‚glauben‘, lateinisch libet‚ ‚es beliebt‘, ‚ist gefällig‘ …. .

Alltäglicher Umgang

Wir setzen den Begriff Glaube im alltäglichen Gebrauch ein, um auszusagen, dass wir einer Sache, einem Menschen oder einem Phänomen vertrauen oder es gutheißen, ohne es genauer überprüft zu haben. Wie z.B.: „Ich glaube, dass wir in diesem Jahr einen schönen Sommer bekommen“. Klar ist dabei, dass es eine subjektive Annahme ist, die gegebenenfalls auch wieder geändert werden kann. Oftmals übernehmen wir auch aus einem gefühlsmäßigen „Fürwahrhalten“ Informationen, geben diese ungeprüft an unsere Mitmenschen weiter und richten vielleicht sogar unser Leben danach aus.

Religiöser Glaube

Beim sog. religiösen Glauben bekennt der Gläubige seinen Glauben an Gott in Form eines Glaubensbekenntnisses (Credo). Der gläubige Christ glaubt an die Allmacht einer unbekannten höheren Autorität, die sein Leben lenkt und fühlt sich, Kraft des Bekenntnisses, mit dieser verbunden.

Der Glaube an den Gedanken als eine reale geistige Seinsexistenz

In der geistigen Schulung wird der Gedanke nicht nur als ein leerer Begriff verstanden, sondern als eine reale Seinsexistenz mit einer einzigartigen geistigen Substanz. Ein Gedanke, bzw. eine universale Idee oder ein Ideal wird vom Übenden glaubend gedacht und konzentriert wahrgenommen. Mit Ausdauer und der objektbezogenen Meditation kann der Gedanke in die Seinsrealisation geführt werden. In diesem Sinne wurde dazu in den Arbeitseinheiten an der Hochschule an der folgenden Aussage von Rudolf Steiner gearbeitet:

„ … Er (der Übende) vertraut auf die Wirksamkeit dessen, was er unternimmt. Zaghaftigkeit und Zweifelssucht verbannt er aus seinem Wesen. Hat er eine Absicht, so hat er auch den Glauben an die Kraft dieser Absicht. Hundert Misserfolge können ihm diesen Glauben nicht nehmen. Es ist dies jener „Glaube, der Berge zu versetzen vermag“. … .“

(Wie erlangt man Erkenntnis der geistigen Welten 24. Auflage 1993, Über einige Wirkungen der Einweihung, Die zwölfblättrige Lotusblume, Seite 108)

Die objektbezogene Meditation – das Platzieren des Gedankens

In der objektbezogenen Meditation wird der Gedanke aktiv gedacht und mit Hilfe der aufgebauten Konzentration wiederholt über mehrere Tage konkret und freilassend betrachtet. Dies kann man als „das Platzieren“ des Gedankens bezeichnen. Im Laufe der Übung entsteht eine intensivere Beziehung zu diesen Gedanken, welche sich in Form von feinen Empfindungen äußert, die bis zur tieferen Erkenntnis reifen kann. Diese Art des glaubenden und aktiven Hingewendetseins führt über die Erkenntnis zum Erkraften der Qualität, die dem Gedanken inneliegt. Der Gedanke kann somit als authentische Kraft bis in das irdische Leben realisiert werden.

In einem Artikel „Der Abstieg der Dunkelheit bis in das Innere des Menschen“ (23.12.2021) schreibt Heinz Grill über die Seinsexistens des Gedankens folgendes:

Was ist wirklicher Glaube? Es ist nicht nur ein Fühlen einer möglichen Wahrheit, sondern es ist ein Sehen einer realen und im Geiste gegebenen Wirklichkeit. … Das einzelne Individuum muss heute die Zukunft in vollem Wagnis eines noch nicht realisierten, aber doch vorstellbaren Ideals denken und zielstrebig nach diesem leben. Nach einiger Zeit der wirklich ernsthaften Bemühung gewinnen die Gedanken eine erstmalige Realität. Der Glaube wird in diesem Sinne eine unmittelbare sehende Kraft und bereits beginnende Realisation…“

Eine Neugründung der Persönlichkeit im Herzzentrum gebiert sich und die genetischen Anlagen weichen in ihrer machtvollen Dominanz zurück. Dieser Glaube – der an einen Gedanken gerichtet ist – führt zu einem schöpferischen Prozess, der sprichwörtlich „Berge versetzen kann.“