von Verena Friedl, Januar 2025
Die sogenannten Künstlertage lassen sich als ein Zusammentreffen von interessierten Menschen beschreiben, welche an der konkreten Entwicklung von Zielperspektiven und Zukunftsvisionen in unterschiedlichen Anwendungsbereichen arbeiten. Im Kontext der spirituellen Hochschule Naone sind Ziele als universale, groß gedachte und weltumspannende Ideen zu verstehen, die gleichzeitig eine konkrete individuelle Ausgestaltung beinhalten und damit eine große Kraft freisetzen können.
Ganz praktisch findet täglich beispielsweise eine Yogapraxis statt, es gibt malerische und handwerkliche Innenraumgestaltungen, Rhetorikeinheiten, musikalische Tätigkeiten, sportliche Gestaltungsformen im Tischtennis und alpiner Kletterei.
Übergreifend steht die Idee des spirituellen Lehrers Heinz Grill: „Nicht auf den Körper mit all seinen emotionalen Auf- und Niedergängen sollte der Übende hören, sondern sich Ziele setzen, die über die Launen von Sympathie und Antipathie, von Gewinn und Verlust hinausgehen. Eine schöne Beziehungssphäre eröffnet sich durch längere Aufmerksamkeit zu den Mitmenschen oder zu Themen, die gemeinsam erarbeitet werden.“
All der Zusammenarbeit und dem kreativen Schaffen im Miteinander liegt die Beziehung zwischen Menschen zugrunde. Wie eine Beziehung im idealsten Sinne gedacht werden kann, war einerseits ein Thema in den Ausführungen von Heinz Grill und stellt andererseits ein großes persönliches Interesse dar, sowohl aus beruflichen Gründen der Sozialarbeit, als auch aus der Notwendigkeit wie Beziehungsfähigkeit unter Menschen gefördert werden kann, damit dieser Wert für die Welt künftig entwickelt werden kann und fundamentalistischen spaltenden Tendenzen keine Grundlage mehr geboten ist. In einer ersten Beschreibung möchte ich Schritte zum Ideal einer zwischenmenschlichen Beziehung schildern.
- Wann treten wir überhaupt in Beziehung?
Diese so banal klingende Frage eröffnet bei genauerer Überlegung die große Dimension mit der wir es bei „Beziehungen“ zu tun haben. Sobald der Mensch die Augen öffnet – und dies ist jeden Morgen der Fall – ist er in Kontakt mit der Außenwelt. Wir sind ständig während unserer Wachphase am Tag im unmittelbaren Kontakt mit der Welt, ob wir es wollen oder nicht. Hier spricht sich eine große Möglichkeit aus und gleichzeitig eine ebenso große Verantwortung, denn die Sinnesorgane der Augen streifen tagein tagaus über die Gegenstände, Menschen und die Umgebung.
- Ist der Blick eines Menschen also schon eine Beziehung?
Das Phänomen des Blickes muss näher betrachtet werden. Inmitten einer Traube von Menschen kann sich der Einzelne dennoch einsam fühlen. Ich kann angesehen werden, aber dennoch nicht gesehen. Es scheint hier also noch auf das „Wie“ anzukommen. Der Betrachter und das Gegenüber haben ein gewisses Verhältnis und dies wird ausschlaggebend für die Wirkung sein.
Anders benannt ist dieses Subjekt-Objekt Verhältnis wie ein klares Gegenüber zu verstehen. Der Mensch ist der eine Pol und das Gegenüber der andere Pol. Es lässt sich sicherlich sagen, dass dieses innere Bedürfnis nach wahrer Verbindung und Wahrnehmung in jedem Menschen lebt und die ungesunden Formen nicht anzustreben sind. Ohne eine realistische Wahrnehmung ist eine Art Verschmelzung gegeben, am ehesten bekannt beispielsweise am Bild eines Paares, das nur mehr als eine Einheit auftritt, nichts getrennt von einander entscheiden kann und will. Die rosarote Brille verschleiert den Blick des einen zum anderen. Es wird das gesehen, was man sehen will und alles andere gekonnt ausgeblendet. Die daraus folgende Wirkung zeigt sich oftmals in dem Umfeld als eine Irritation – schließlich haben wir zwei individuelle Menschen vor uns und diese Selbstaufgabe erscheint jedem recht ungesund.
- Ja und nun?
Zwangsläufig ist also die Frage, wie mit einem Gegenüber umgegangen werden sollte, damit eine neue beziehungsfreudigere Sphäre nach und nach entsteht.
Eine erste Grundlage wurde von Heinz Grill in den Künstlertagen mit dem sogenannten Selbststandpunkt beschrieben. Dieser Standpunkt kann und darf nur durch jeden Menschen selbst und individuell bestimmt werden. Anders ausgedrückt – Selbstbestimmung ist die Bestimmung bei der jeder Mensch seine eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten führen kann. Es klingt hier bereits die Richtung an: eine eigene Kompetenz oder Fähigkeit zu führen, strebt immer zu einer sinnvollen Steigerung, schließlich möchte niemand Rückschritte machen. Heinz Grill formulierte es klar: „Die Entwicklung darf sich kein Mensch absprechen lassen.“
Grundsätzlich – und das ist das Spannende und auch der entscheidende Punkt – braucht es für eine Entwicklung immer eine Idee, wohin es eigentlich gehen soll. Der Mensch ist jedoch zunächst „so wie er ist“ und die zielführende Idee ist daher keinesfalls im eigenen Inneren zu finden.
Es braucht das Hinzunehmen äußerer Kenntnisse – ähnlich wie bei einer Fremdsprache mit konkreten Vokabeln, Regeln und Grammatik. In Entwicklungsfragen kann dies eine spirituelle Quelle, hochwertige philosophische Schriften oder ähnliches sein. Ohne einen neuen „Input“ wird der Mensch ja doch immer sein eigenes bekanntes Süppchen kochen oder sich von äußeren Umständen fremdsteuern lassen.
- Welcher „Input“ oder welche Idee eignet sich für die Entwicklung von Beziehungsfähigkeit?
Als Ausrichtung und als Zielpunkt ist es förderlich, wenn wir uns einem allgemein gültigen Grundsatz mit moralischem Wert zuwenden. All unsere Eigenheiten, Gewohnheiten, Traumen und Erfahrungen sind als Aufgespeichertes oder als mitgebrachter „Rucksack“ sowieso vorhanden. Daher wagen wir uns nun beispielsweise an die zunächst abstrakt anmutende Idee der „Förderung des anderen Menschen“. Es gilt also nochmal zu überprüfen – ist meine Wahrnehmung von einem ernsthaften Interesse geprägt oder möchte ich den anderen für mich gewinnen?
Diese Besitzorientierung wird langfristig nicht tragend sein. Eine tiefere Verbindung kann nur durch einen freien und dennoch intensiven Kontakt entstehen, der durch ein gemeinsames Thema, einen Inhalt oder eine Idee getragen wird. Das kann ganz praktisch zur Frage führen, was der Andere an Fähigkeiten entwickeln kann und wie dies zu unterstützen ist. Möchte der Mann ein schneller, flinker und beziehungsfreudiger Tischtennisspieler sein? Wie sieht dies aus? Was ist nötig an Training, an Reflexion oder an Handgriffen?
Ein Tafelbild zu den Ausführungen von Heinz Grill, mit einem Zitat von Rudolf Steiner
Die Herausforderung an dieser Herangehensweise ist, dass der Fördergedanke in diesem Beispiel nicht zum eigenen Nutzen dienlich ist – nicht die Frau will für sich einen erfolgreichen Mann, sondern die zu entwickelnden Fähigkeiten haben eine gesundheitsförderliche Wirkung auf den Einzelnen und die Umgebung und somit stellen sie einen allgemeinen Wert dar. Schließlich ist eine ästhetische Spannkraft, gezielte Dynamik, freie Leichtigkeit und die Freude am Überschreiten persönlicher Grenzen etwas Erstrebenswertes, oder etwa nicht?
Zusammenfassend lässt sich festhalten:
- Der Mensch hat die Fähigkeit zur kreativen Kraft, das Beziehungsleben tatsächlich zu formen.
- Die Fortschritte und die Steigerung von eigenen Fähigkeiten muss sich der Mensch mit Bestimmtheit tatsächlich vornehmen.
- Die Fähigkeit zur Wahrnehmung vom Gegenüber muss regelmäßig geübt werden – sie darf immer wieder aufs neue erprobt werden, damit diese Kapazität so normal und sicher wie das Autofahren wird.
- Die Wahrnehmung soll mit einem wertvollen Ziel geführt werden, das nicht dem eigenen Vorteil dient und sowohl eine individuelle als auch allgemeine Gültigkeit hat.
Ein philosophisches Zitat von Erich Fromm als Ergänzung der Autorin.
Eine reale, intensive und gleichzeitig freilassende Wahrnehmungsfähigkeit beendet den subjektiv motivierten Eigennutzen und stellt so eine erste wirkliche Verbindung zwischen zwei Menschen dar. Das ist etwas Schönes, was uns konkrete persönliche Ansätze und gleichzeitig eine große Zukunftsperspektive gibt!