Das Vishuddha Chakra und die Fähigkeit, sich einer Sache gegenüber zu stellen
- im Yoga
- in der Betrachtung
- in der Sprache
- in der Musik
- im Lesen von Texten
Goethe verbindet dort ein Sterben mit einem Werden. Sterben und Werden, Tod und Auferstehung, Loslösung und Neuanfang, diese Begriffspaare verbinden immer die gleichen große Gegensätze. Wie man diese Gesetzmäßigkeit praktisch auf das Leben anwenden und übertragen kann, wurden in den letzten zwei Wochen in der spirituellen Hochschule im Zusammenwirken mit Heinz Grill erarbeitet.
Die Fähigkeit von Loslösung/Sterben und einem Neubeginn/Werden ordnet Heinz Grill dem sogenannten 5. Bewusstseinszentrum, dem Vishuddha Chakra zu. In einem Satz könnte man eine geistige Gesetzmäßigkeit auf folgende Weise zusammenfassen:
Es muss immer etwas im Menschen zurückweichen, sterben, wenn er sich einem Objekt bewusst gegenüberstellen und dieses erkennen möchte.
Wie sieht dieses Sterben und Werden in verschiedenen Bereichen des Lebens, wie bspw. im Praktizieren einer Yogaübung, im Betrachten eines Objektes, in der Musik, in der Sprache oder im Umgang mit einem Text praktisch aus?
Das Gedicht „Selige Sehnsucht“ von Johann Wolfgang von Goethe endet mit den 4 Zeilen:
Und so lang du das nicht hast,
Wolfgang von Goethe
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.
Sterben und Werden in der Yogaübung
Wenn wir vor einer Yogaübung erst ein mentales Bild erzeugen und dieses Bild dann auf den Körper übertragen, erleben wir die Übung und den Körper nicht auf gewohnte Weise und mit unseren gewohnten Gefühlen. Wir erleben durch das umgesetzte Bild ein neues Körpergefühl, ein gewisses harmonisches Empfinden, das den Körper neu belebt. Hierfür lassen wir von unseren inneren Körpergefühlen zuvor los. Wir machen uns unabhängig von Wohl- oder Unwohlgefühl und führen mit Bewusstsein und Wahrnehmung unseren Körper.
Werden wir mit dem Körper ganz ruhig und achten einmal darauf, uns gar nicht zu bewegen, erleben wir eine erste Form der Ruhe und wir erleben den Körper wie ein Gegenüber. Wir erheben dann unseren Körper zum Gegenstand. Es „sterben“ innerliche Unruhen und Gefühle und es entsteht ein objektiver Bezug gegenüber dem Körper.
Sterben und Werden in der Sprache
Erheben wir Worte, eine Aussage, ein Thema zum Gegenstand, dann stellen wir uns unseren eigenen Worten wie gegenüber. Für einen Zuhörer ist eine solche Sprache sehr viel leichter verständlich. Wir beschreiben dann etwas, wir machen etwas zum Objekt. Indem man in Gewohnheit spricht z.B. „Geh doch zum Teufel!, ist der Teufel noch nicht „Objekt“. Wir verwenden dann Sätze und Begriffe wie automatisch, ohne uns von den Worten wirklich eine Vorstellung zu machen, ohne uns den Worten bewusst zu sein.
Wenn wir ein Wort zum Objekt machen, stirbt zugleich unsere gewohnte, unbewusste, geprägte Bindung und Verwendung zu den einzelnen Begriffen. Dies geschieht immer wieder neu.
Sterben und Werden in der Betrachtung
Wenn wir etwas anschauen und gedanklich beschreiben, wenn wir beispielsweise in die Natur blicken und uns der Form eines Berges bewusst werden, der Höhe eines Baumes, den Farben und Formen, müssen wir neu hinschauen. Wir stellen uns Fragen, und blicken gedanklich und fragend auf eine Sache hin. In dem Moment lösen wir uns von unseren alten Gefühlen, Assoziationen und Bildern los, um wieder ganz neu und unbefangen der Außenwelt begegnen zu können. Schauen wir hingegen rein emotional auf die Natur und nennen sie „schön“, „harmonisch“, bilden wir uns keine bewusste Anschauung. Dies kann man auf alle Betrachtungen grundsätzlich übertragen.
»Für einen Maler gibt es nichts Schwierigeres, als eine Rose zu malen, denn dazu muss er zuerst alle Rosen vergessen, die jemals gemalt worden sind.«
Henri Matisse
„Die Kunst der Wahrnehmung liegt nun darin, dass der sich Übende alle unbewussten Wünsche, Projektionen und Emotionen zurücknimmt und das Objekt seiner Betrachtung frei und unbeeinflusst wahrnimmt.“
Heinz Grill
Die 7 Lebensjahrsiebte und die 7 Chakren, das Vishuddha-chakra, S. 137
Sterben und Werden in der Musik
Wenn wir uns einem Lied bewusst gegenüberstellen, erheben wir auch Musik zum Objekt. Wir verlassen dann die rein emotional mitschwingende, unbewusste Ebene. Wir können die Melodielinie, Töne, oder Worte bewusst betrachten oder die Aufmerksamkeit auf einen Inhalt lenken. Wir werden dadurch schöpferisch und regsam, während wir hören oder singen.
Sterben und Werden im Umgang mit einem Text
Wenn wir einen Text lesen können wir auch einen Text mit seinen Worten und Inhalten zum Gegenstand erheben. Wir bilden uns hierfür eine exakte Vorstellung von den Worten, von dem Satz, von einer Aussage heran und erfassen einen Text objektiv vorstellend. Persönliche Assoziationen, Interpretationen, Emotionen, Erinnerungen, die oft impulsiv, unkontrolliert entstehen, und sich über eine Aussage legen wollen, lassen wir los. Wir erfassen dann die Worte eines anderen Menschen so, wie er sie gedacht hat. Besonders in dieser Arbeit mit Texten, kann man sehr gut erleben, wie ein Text zum Gegenstand „werden“ kann, und persönliche interpretative Regungen „sterben“ können.
Das 5. Bewusstseinszentrum – sich einer Sache bewusst gegenüberstellen
Während ich glaubte, ich würde lernen, wie man leben soll, habe ich gelernt zu sterben.
Leonardo da Vinci
Damit das 5. Zentrum ausreichend in Kraft treten kann, muss der Einzelne die Leistung vollbringen, das, was er betrachtet, zum Gegenstand zu machen. Er stellt sich dann einer Sache, einem Text, einem Objekt gegenüber und macht es durch seine Vorstellungstätigkeit zum Objekt. Im Sinne eines “Sterbens und Werdens” muss er von sich dabei etwas loslassen.
Bei all diesen Beispielen halten wir das Bewusstsein längere Zeit bei einer Sache aufrecht. Eine bedeutsame Folge davon ist, dass dadurch die Selbstkraft des Menschen gestärkt wird.
Studienliteratur:
Die Arbeit mit dem Wort, dritte Seelenübung, Übungen für die Seele, Heinz Grill
Das Vishuddha Chakra, Seelendimension, Heinz Grill
Die sieben Lebensjahrsiebte und die 7 Chakren, Heinz Grill