Die Wege und Methoden zu einer Synthese zwischen Geist und Welt sind vielfältig. Manche sind geprägt von dem Ziel der Erleuchtung und einem Einswerden mit dem Kosmos. Verschiedene Techniken oder Rituale ermöglichen in kurzer Zeit entsprechende Erfahrungen. Andere Wege streben mehr nach Erkenntnisbildung zu den kosmisch-geistigen Welten. Umfassende Schulungswege geben hierzu konkrete Anweisungen für ausdauernde Auseinandersetzung und ein Studium, in der Regel über mehrere Jahre hinweg.
Auf der Suche nach Verbindung oder Erkenntnis der geistigen Welt werden seelische oder geistige Ebenen berührt, die den physischen Sinnen naturgemäß nicht zugänglich sind. Sie werden deshalb auch als „feinstofflich“ bezeichnet, im Gegensatz zu der „grobstofflichen“ irdischen Welt. Da die feinstoffliche Welt nicht direkt über Sehen, Hören oder Tasten wahrgenommen werden kann, besteht häufig die Annahme, dass man diese Welten oder Erfahrungen auch nicht darstellen kann und es sich mehr um Gefühlseindrücke, um innere Stimmungen und persönliche Erlebnisse im Sinne von mystischen Erfahrungen handelt. In den bestehenden Schulungswegen hingegen wird eine konkrete Erkenntnis und Darstellung als notwendig erachtet. Rudolf Steiner forderte beispielsweise, dass die Geisteswissenschaft genauso exakt vorgehen müsse, wie die Naturwissenschaft und er empfahl, dass der Schüler nichts praktizieren solle, was er von seiner Erkenntnis her nicht überschauen könne. Für Heinz Grill ist es ebenso grundlegend, dass der Student die Erfahrungen so konkret beschreiben lernt, dass ein anderer sie nachvollziehen kann. Er spricht in diesem Zusammenhang von einer „Sozialfähigkeit“ der Spiritualität, in der in einem klaren Dialog andere an den Erkenntnissen auf natürliche Weise teilhaben können. Eine Aussage wie, „Die Energien waren so überwältigend, die kann man nicht beschreiben“, verwehrt es dem Gesprächspartner, sich eine konkrete Vorstellung über diese Welt zu bilden, die für den anderen sehr große Wichtigkeit besitzt. Macht der Student sich nicht die Mühe, so lange zu forschen, bis er sowohl den Weg als auch das Ergebnis seiner spirituellen Auseinandersetzung klar beschreiben kann, dann bleiben seine Freunde oder der Partner ausgeschlossen.
Die Beschreibbarkeit korrespondiert sehr mit der Art und Weise des Übens. Durch Energieübungen, Pranayama oder Mantratechniken werden intensive spirituelle Erfahrungen hervorgerufen, wie etwa Aufsteigen der Kundalini-shakti oder Astralreisen, in denen sich plötzlich eine unbekannte Welt öffnet. Sie kann den Übenden förmlich mit Eindrücken überfluten, für die er keine Begriffe hat und er meist auch nicht zuordnen kann, um welche Sphäre es sich handelt.
In geistigen Schulungswegen praktiziert der Übende verschiedenste Betrachtungsübungen, beispielsweise zu den Ätherkräften und zum Ätherleib des Menschen, und prägt damit langsam neue Sinnesorgane für feinstoffliche Erscheinungen aus. Er studiert und forscht intensiv und erlangt eine Art Hellsehen, das er über lange Zeit hinweg entwickelt und er lernt sowohl die Entwicklungsschritte, die dazu geführt haben, als auch das Objekt seiner Schau genau kennen und zu beschreiben.
Mit einiger Übung lässt sich die intensive Lichtätherkraft des Lorbeer deutlich wahrnehmen, …
… während sie bei der Tomate gänzlich fehlt. Der Übende studiert zuerst die Erscheinung des Lichtäthers und betrachtet dann mit der Frage nach dem Lichtäther die Pflanzen auf sehr konkrete Weise.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Ich-Stellung des Menschen. Welche Rolle nimmt das Ich in verschiedenen Praktiken oder Übungen ein? Viele esoterische Techniken erfordern es, dass dieses Ich zurückweicht. Bei der medialen Durchgabe beispielsweise würde das Ich der Person die Durchgabe behindern oder stören. Die Person muss sich innerlich ganz aufgeben und durchlässig machen, damit die geistige Stimme durch sie sprechen kann. Bei einer Astralreise überfluten die Eindrücke das eigene Ich. Beim Reikiheiler werden durch die Einweihung energetische Kanäle geöffnet, die ihn durchlässig machen für kosmische Energieströme, welche ohne Beteiligung seines Ichs fließen. Ebenso besteht in vielen Meditationsformen das Ziel des vollkommenen Schweigens und Eliminierens der Gedanken und damit auch des Ichs. In den Schulungswegen von Rudolf Steiner oder Heinz Grill soll das Ich des Menschen nicht entschwinden und einer höheren Kraft Platz machen, sondern es soll transformiert werden. Das Ich und die Seelenkräfte des Menschen – Denken, Fühlen und Wille – sollen geschult und mit geistigen Noten durchdrungen werden. Sie sind jene Instanz, die sich sowohl zur irdischen als auch zur geistigen Welt bewusst und aktiv in Beziehung bringt und das tägliche Leben zunehmend nach kosmischen Gesetzmäßigkeiten ordnen lernt. Im Ich des einzelnen Menschen findet die Synthese zwischen Geist und Welt statt. Heinz Grill spricht hier von „Individuation“ und meint damit, dass geistige Inhalte und Ideale durch Schulung im menschlichen Ich individuell werden, sich also individuell in der jeweiligen Person ausdrücken.
Viele Ansätze erstreben als höchstes Ziel die Erleuchtung, das Einswerdung mit dem Kosmos, das Aufgehen in der vollkommenen Verbindung mit der geistigen Welt. In den genannten Schulungswegen steht mehr die Frage im Vordergrund, wie der Einzelne einen Beitrag für den Kosmos und für die irdische Welt geben kann, basierend auf dem Gedanken, dass im Nachtodlichen dasjenige als Wert im Kosmos zurückbleibt, was der Mensch gegeben hat.
Drei Zeichnungen zum unterschiedlichen Ausdruck der Ich-Aktivität.1
Die mystische Erfahrung findet in der eigenen Innenwelt statt. Sie öffnet sich plötzlich in Folge von Übungen ohne gedankliche Aktivität aus dem Ich. Der Blick ist deshalb stark nach innen gerichtet und die Person wirkt nach außen abgeschirmt. Die Stirnregion wirkt verschlossen.
Tritt das Ich zu einem spirituellen Ideal in Beziehung oder zu konkreten Erscheinungen in der irdischen Welt, muss der Blick mit verschiedenen Gedanken nach außen zu dem Objekt hin gerichtet werden. Die Person wirkt präsent und schön. Die Stirnregion wirkt hell.
Werden die Gedanken forschend durch das Ich weiter geformt, wirkt die Stirnregion sehr zentriert und der Blick ist klar wahrnehmend und offen nach außen gerichtet.
- Zeichnungen aus dem Buch von Heinz Grill: „Ein neuer Yogawille“, S. 132 f ↩︎